Der Brauch des Domtreppenfegens

Ich dachte immer wenn ich 30 bin, dann wäre ich reich, hätte Erfolg und drei Kinder und einen Mann, der abends auf mich wartet und mir die Füße krault.

Ally McBeal

Man sieht es heutzutage immer noch vor einigen Rathäusern: Männer müssen die Treppen fegen. Warum? Weil sie in naher Zukunft das 30. Jahr vollenden und noch nicht verheiratet sind.

Und hier kommt der Versuch den „Blödsinn“ zu erklären.

Entstehung

Der älteste Beleg über das Fegen der Domtreppe stammt aus Bremen im Juli 1956. Laut dem „Kleinen Bremer Lexikon“ von 1980 erwähnte der bremische Volksschriftsteller H. Hellmers das Fegen des Domhofes schon um das Jahr 1890. Eine Etablierung des Brauchs ist demnach erst nach Ende des 2. Weltkriegs geschehen.
Seitdem gibt es eine Ausbreitung des Brauchs im Norddeutschen Raum mit besonderen Schwerpunkten in Bremen und Niedersachsen. In den übrigen Regionen Deutschlands ist der Brauch eher unbekannt und wird nicht gepflegt.
Treppenfegen muss nach dem Brauch, ein lediger Mann, der zu seinem 30. Geburtstag nicht verheiratet ist.

Ausübung

Für die Vorbereitung und die spätere Umsetzung des Fegens sind die Freunde, Familie und/oder Bekannte des Betroffenen zuständig. Überlicherweise schalten sie in der lokalen Tageszeitung eine Anzeige, in der Angaben zur Person sowie zu Zeit und Ort des Geschehens gemacht werden und meist ein Foto des Betroffenen veröffentlicht wird.
Am Tag des Geburtstags wird der Betroffene von den vorbereitenden Personen zu Hause besucht, verkleidet und geschminkt. Das Geburtstagskind wird behandelt wie ein Kleinkind. Ihm wird etwas zutrinken eingeflößt und er wird in ein Kostüm gesteckt. Das soll auf die Unselbstständigkeit in der Laminalenphase hinweisen. Die Vorbereitenden suchen ein Kostüm aus, welches die Beweglichkeit des Geburtstagskindes absichtlich einschränkt. Da die Verkleidung sehr bunt gewählt wird, fühlt sich der Träger dementsprechend seltsam und gedemütigt. Für Umstehende ist das Kostüm hingegen eine schöne Belustigung 😉
Zusammen macht man sich dann auf den Weg zum Domhof oder Rathaus. Je nach Ort Region muss die Domtreppe oder die des Rathauses gefegt werden.
In einigen Regionen gehört es zum Brauch, mit einem Bollerwagen einen Umzug durch die Stadt zu machen.
Am Dom angekommen wird die Treppe durch Freunde, Familie und/oder Bekannte mit Kronkorken oder Sägespänen präpariert. Der Betroffene selbst wird bei diesem Teil des Brauches komplett ausgeschlossen und darf im Endeffekt nur zusehen. Er sieht das Elend also kommen…

Sobald die Treppe präpariert ist, muss der Betroffene beginnen die Treppe zu reinigen, in dem er sie fegt. Während das Geburtstagskind fegt, werden der zusehenden Öffentlichkeit Getränke gereicht. Häufig wird das Geschehen durch außenstehende und nicht dazugehörige Personen fotografiert oder gefilmt. Sobald eine Fertigstellung des Reinigen sichtbar wird, treten die Freunde wieder in den Vordergrund und machen die bisher gesäuberte Treppe wieder zunichte, indem sie erneut Kronkorken oder Sägespäne verteilen.

Schinderei oder Freude?

Diese Prozedur erscheint somit wie eine Sisyphusarbeit. Durch diese sich immer wiederholende Arbeit erkennt man die im Volksglauben verankerte Strafe für den ledigen Mann. Diese symbolisiert die Sinnlosigkeit der Ehelosigkeit, da die Aufgaben nicht zu bewältigen sind.
Erschwerend kommt hinzu, dass dem Mann häufig kein „normaler“ Besen zur Verfügung gestellt wird, sondern eine präparierte Requisite. So gibt man ihm einen Besen, der kaum den Fegebewegungen stand hält, da er beispielsweise ein bewegliches Gelenk aus flexiblem Plastik hat. Im schlimmsten Fall wird ihm gar kein Besen gereicht, sondern ein Backpinsel oder eine Zahnbürste.
Das Fegen kann auch durch eigene Aufgaben der Freunde, die zum Teil spontan sind, ergänzt werden, um das eigentliche Treppenfegen zu erschweren und dem Betroffenen eine Menge Geschicklichkeit abverlangen. Als Beispiel kann man die folgende Situation angeben: neben dem Treppenfegen musste die betroffene Person eine Art Parcours absolvieren, welcher aus fünf verschiedenen Aufgaben bestand. Jede dieser Aufgabe stand für eine bestimmte Episode des Lebens des Geburtstagskindes. Da der junge Mann in seiner Kindheit häufig surfen war, war dieses auch eine Aufgabe des Parcours.

Erlösung

Erlösung bekommt der Treppenfeger nur durch den Kuss einer Frau. Hier sind wieder je nach Region Interpretationsmöglichkeiten offen, welche Frau genau „frei küssen“ darf. In manchen „Brauchtraditionen“ soll es eine junge Frau sein. In einigen Regionen Norddeutschlands muss es eine Jungfrau sein, die den Fegenden erlösen kann. Meistens aber gilt es, dass der Betroffene frei geküsst wird, egal von wem. Die einzige Einschränkung dabei ist, dass es auf keinen Fall die vielleicht vorhandene Lebenspartnerin sein darf. Zu der Jungfrau: ich sag jetzt mal böse, das sollte in der heutigen Zeit nicht mehr praktiziert werden…. denn wo bitte bekommt man heute noch Jungfrauen her? Und wie bekommt man die dann vor das Rathaus 😉
Mit diesem Kuss endet der Brauch des Fegens. In Anbetracht dessen, dass der Brauch immer terminlich auf die Freizeit gelegt wird, wird danach noch gemeinsam gegessen oder eine weitere Feier veranstaltet.

Klinkenputzen

Jetzt soll es noch kurz um den Brauch des Klinkenputzens für die Frau.

Entstehung

Der Brauch, dass Frauen, die ihr 30. Lebensjahr vollenden und nicht verheiratet sind, die Türklinken des Standesamtes putzen müssen, wird als Pendant zum Brauch des Domtreppenfegens des Mannes gefeiert.
Da jener Brauch seltener ausgeübt wird, ist er nicht gut erforscht.

Ausübung

Für die betroffene Frau wird wie für den Mann, vor ihrem Geburtstag eine Anzeige in der regionalen Zeitung durch die Familie, Freunde und Bekannte veröffentlicht. Ebenso wird die Betroffene von zu Hause abgeholt, verkleidet und zum Standesamt gebracht.
Vor dem Standesamt wird sie mit den für sie vorgesehenen Requisiten ausgestattet. Meist sind dies Zahn- oder Toilettenbürsten. Auf die Türklinken werden verschiedenste Dinge geschmiert. Zum einen können das Ketchup, Mayonnaise, Senf, Ahornsirup oder auch Zahnpasta sein.
Nun ist es an der Frau, die Klinken zu putzen. Auch die Frau wird bei ihrer Arbeit von der Öffentlichkeit beobachtet und muss wie auch schon bei dem Brauch des Mannes beschrieben von dem anderen Geschlecht frei geküsst werden. In wie weit dies eine „Jungfrau“ sein muss, ist in der Literatur nicht belegt und da die Interviewpartner von Ehlert und Marchetti alles Männer waren, kann man darüber nur spekulieren 😉

Fazit

Die Menschen sagen, dass sich ab dem 30. Geburtstag der körperliche Verfall bemerkbar macht, was auch  in Frage gestellt werden könnte.  Es kann eine Einbildung der Menschen sein, da solche Mythen schon immer über den 30. Geburtstag bestanden haben. Laut einem Interview von Marchetti klagen viele Menschen über körperliche Alterserscheinungen seit dem 30. Lebensjahr, was wiederum auf die Mythen zurückgeführt werden kann.

In den Medien wird die Linie zwischen Jung und Alt auch häufig bei der 30 gezogen. Um sicher sagen zu können, dass der 30. Geburtstag eine Schwelle ist, bei der man eine Trennlinie zwischen Jung und Alt ziehen könnte, muss sich nach dem Geburtstag auch wirklich etwas ändern.

Zu sagen, dass der 30. Geburtstag eine „rites de passage“ ist, wäre eine grobe Vereinfachung.

Man könnte sich die Gedanken machen, ob die Menschen diesen Tag wirklich des Brauches wegen zelebrieren und ob es tatsächlich um ein maßregeln des Verhaltens geht oder ob der Tag genutzt wird, um einfach mal zu Feiern 🙂

Quellen

Ehlert, Kersin. Dreißig – ledig – lustig?. Moderne Bräuche am 30. Geburtstag. Göttingen, 2005.

Marchetti, Christian. Dreißig werden. Ethnographische Erkundungen an einer Altersschwelle. Tübingen, 2005.

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